Mangiare, mangiare

Der erfahrene italienische Kurator Germano Celant insszeniert Essen und Ernährung aus der Perspektive der unterschiedlichsten Künste. Seine Ausstellung „Arts & Foods – Rituali dal 1851“ beginnt stark und historisch vielschichtig. Nur für die Gegenwart fehlte offenbar die Kondition.

Eigentlich soll sich bei der Weltausstellung, die am 1. Mai in Mailand beginnt, alles um die wohl größte italienische Leidenschaft drehen: das Essen. Das Thema, das sich hinter dem formelhaften Titel „Feeding the Planet, Energy for Life“ verbirgt, ist sehr gut gewählt. Streift es doch so globale Themen wie etwa Kultur und Lebensart, aber auch Ackerbau und Tierhaltung, und vor allem so drängende Probleme wie Hungersnöte und Unterernährung.

Doch tatsächlich droht die eigentliche Thematik derzeit in den Hintergrund zu treten. Seit Wochen beherrscht die italienischen Medien eine Debatte darüber, wie viele Pavillons oder wie viel Prozent der Infrastruktur am Eröffnungstag fertig sein werden und vor allem: was es wohl kostet, all diese Nöte und Missstände für die große Eröffnungszeremonie zu kaschieren.

Trotz all des Ärgers: Ein Pavillon ist bereits fertig. Pünktlich zur Mailänder Möbelmesse eröffnete am 9. April die erste Expo-Ausstellung in der italienischen Metropole ihre Pforten. Hierzu musste allerdings auch nicht neu gebaut werden. Die Schau befindet sich in der Triennale di Milano, der berühmten Ausstellungshalle für Design, Städtebau und Architektur. Unter dem Titel „Arts & Foods – Rituali dal 1851“ inszeniert hier der erfahrene italienischen Kurator Germano Celant Essen und Ernährung aus Perspektive so unterschiedlicher Künste (arts) wie Skulptur, Malerei, Fotografie, aber auch Literatur, Film, Design und Werbung. Dabei betrachtet er chronologisch sämtliche Rituale rund um die Herstellung und den Verzehr von Lebensmitteln (foods) seit 1851, dem Jahr der ersten Weltausstellung in London, bis heute. Ein weites Feld, aber Celant konnte bei seiner Konzeption aus dem Vollen schöpfen. Standen ihm doch, und auch das ein viel diskutiertes Thema, laut Corriere della Sera rund 6 Millionen Euro für seine Arbeit zur Verfügung.

Renoirs hängen neben Porträts berühmter Köche

Fulminant ist dann auch der Auftakt der Ausstellung. Architekt Italo Rota, der in Mailand unter anderem durch seinen spektakulären Umbau des Museo del Novecento bekannt ist, hat hier wie in einem Kaufhaus unscheinbare, mit Leuchtröhren umsäumte Schwingtüren in die weitläufige Eingangshalle gesetzt. Dahinter bietet sich dem Betrachter ein lebhaftes Bild, voller optischer und sinnlicher Reize. Auf Inseln und in Glaskästen haben Celant und Rota reichhaltige Interieurs und Szenenbilder zusammengestellt. An diesen gekonnt komponierten Stilleben flaniert der Besucher vorbei und versucht, deren Vielschichtigkeit zu erfassen. Bedeutende Gemälde wie etwa Renoirs „Nature morte avec pomme et figues“ hängen ganz selbstverständlich neben Porträts berühmter Köche, oder Mobiliar aus dem 19. Jahrhundert. Das Interieur eines Metzgers oder eines Mailänder Kaffeehauses aus dem frühen 20. Jahrhundert wechseln sich mit Vitrinen voller Silbergeschirr und Besteck ab, während auf schräg von der Decke abgehängten Leinwänden passende Filme etwa von Georges Méliès oder Charlie Chaplin laufen. Einen Eindruck davon, welch unterschiedliche Esskulturen bei den ersten Weltausstellungen aufeinander getroffen sein müssen, vermitteln Fotografien, wie jene von Dimitri Yermakov und vielen unbekannten Fotografen, die Spelunken, Marktszenen und Bauern bei der Feldarbeit zeigen. Aber längst nicht alles ist „frei zugänglich“. Bei einigen Objekten, etwa Puppenküchen und Kinderspielzeug, versperren Holztafeln die Sicht. „Off-limits for grownups“: Hier haben Erwachsene keinen Zutritt, das ist die Kinderroute der Ausstellung. Eine schöne Idee.

Gar nicht wirklich vollendet?

Doch leider geht nach Jean Prouvés Fertigteil-Haus für Obdachlose „Maison de Jours Mellieurs“ von 1956 der Ausstellung die Puste aus. Natürlich beeindrucken solche Großexponate genauso wie das ebenfalls gezeigte Kunststoffhaus „Maison Bulle“ oder die russische Raumkapsel „Vostok“. Aber was tragen diese Dinge eigentlich zum Thema Essen und Ernährung bei? Dass dort auch gegessen wurde, ist doch eher eine Banalität. Nicht nur inhaltlich, auch räumlich tun sich ab den sechziger Jahren immer größere Lücken auf. Vor denen in grellem Gelb erstrahlenden Wänden wirken etwa die zahlreichen, aber schlecht ausgeleuchteten Arbeiten Andy Warhols wie „Campbell’s Tomato Juice Box“ oder „Del Monte Peach Halves“ vollkommen verloren. Je weiter man in der Kunstgeschichte voranschreitet, vorbei an Joseph Beuys „Capri-Batteries“, dem Iglu aus Brot von Mario Merz und den immer drastischer werdenden Fotos von Hähnchenschlachtereien und Schweinefarmen, verlieren sich die wichtigen Bezüge zu Design und Populärkultur. Ebenso fehlen häufig, die für den Zuschauer so wichtigen Informationen und Beschriftungen. Eine Orientierung, in der immerhin 2000 Objekte umfassenden Ausstellung, fällt schwer. Daher drängt sich die Frage auf: Ist vielleicht auch dieser Expo-Pavillon gar nicht wirklich vollendet? Sondern nur gut kaschiert?

Arts & Foods – Rituali dal 1851

bis 1. November 2015, Viale Alemagna 6, Mailand

http://www.triennale.org